Ein IM als Bürgermeister: Gericht muss entscheiden
Von Steffen Klameth, Sächsische Zeitung 20. April 2006
Rechtsstreit. Christoph Fröse will den Chefstuhl im Bannewitzer Rathaus besetzen. Jetzt klagt er.
Man kann sich die Sache ungefähr so vorstellen: Fußball-Nationaltrainer Jürgen Klinsmann sagt dem Oli Kahn, dass er leider, leider nicht mehr im deutschen Tor stehen darf – und Oli Kahn läuft trotzdem aufs Spielfeld und stellt sich demonstrativ zwischen die Pfosten. Dumme Geschichte, was tun?
In Bannewitz bei Dresden (10 800 Einwohner) wurde im Februar ein neuer Bürgermeister gewählt. Doch kurz vor Ostern teilte der Landrat des Weißeritzkreises, Bernd Greif (CDU), dem Wahlsieger Christoph Fröse mit, dass er das Amt nicht antreten darf. Trotzdem marschierte Fröse am Dienstag ins Rathaus und setzte sich auf den Chefsessel. Dumme Geschichte, was tun?
Bei Oli Kahn müsste man wohl mit dem Schlimmsten rechnen. Bei Christoph Fröse ging es friedfertiger zu. Zwar rückten zwei Polizisten an, um ihn des Hauses zu verweisen. Doch nach langem Hin und Her war sowieso Feierabend, und Herr Fröse ging wieder nach Hause. Seine wichtigste Amtshandlung hatte er bis dahin ohnehin erledigt: Er zeigte dem Landrat seinen Amtsantritt an – so wie er es am 12. April getan hatte, als er schon einmal das Rathaus besetzt hatte.
Landrat: Eine „starke Sache“
Für Landrat Greif ist das Ganze eine „starke Sache“. Immerhin ignoriere Fröse einen rechtskräftigen Bescheid, wonach er für das Amt des Bürgermeisters untragbar sei. Dieser Entscheidung seien eine gründliche Prüfung der Stasi-Akten, zwei Gespräche mit Fröse und dessen Anwalt sowie die Akteneinsicht durch Fröse vorausgegangen. Ergebnis: Die intensive inoffizielle Tätigkeit für das MfS lasse eine Verbeamtung nicht zu.
Der 51-jährige Fröse leugnet seine IM-Vergangenheit nicht. Spätestens seit 1992, als die Spitzeltätigkeit bei der Überprüfung des Gemeinderates ans Licht kam, hätten alle im Dorf davon gewusst, argumentiert er. Den ganzen Umfang erfuhr die Öffentlichkeit jedoch erst Anfang April aus der SZ, die Antrag auf Akteneinsicht gestellt hatte (siehe Info-Kasten „IM ,Gallinat‘“). Zu diesem Zeitpunkt war Fröse bereits gewählt – mit 52,7 Prozent im entscheidenden zweiten Wahlgang.
Dabei profitierte er vor allem von seiner Popularität in Bannewitz, wo er zu DDR-Zeiten Sekretär des Gemeinderates und etwa ein Jahr lang (1989/90) Bürgermeister war. „Seine Art kommt bei den Leuten an“, meint Amtsvorgänger Christian Zeibig (parteilos), der aus Altersgründen in den Ruhestand ging. Trotzdem hatte sich der parteilose Zeibig für den CDU-Kandidaten Thomas Rincke (CDU) stark gemacht – vergeblich. Zeibig: „Er konnte seine Bürgernähe nicht glaubhaft machen.“ Vor allem störten sich viele Wähler aber wohl an seiner West-Herkunft.
Gestern machte Fröse einen Bogen um das Bannewitzer Rathaus und fuhr stattdessen nach Dresden zum Verwaltungsgericht, wo er am Vortag bereits seine Klage gegen den Wahlprüfungsbescheid des Landrats eingereicht hatte. Nun legte er noch einen Antrag auf Einstweilige Verfügung nach, um so schnell wie möglich mit Justitias Segen den Bürgermeisterstuhl einnehmen zu dürfen.
„Wir sind uns der Eilbedürftigkeit bewusst“, sagte Gerichtssprecher Hanns-Christian John. Nächsten Dienstag gebe es ein Gespräch mit Fröse und dem Landratsamt, danach werde man schnellstmöglich eine Entscheidung treffen.
IM „Gallinat“
Christoph Fröse war laut Stasi-Akten von 1985 bis zur Auflösung des MfS als Inoffizieller Mitarbeiter aktiv. Sein selbst gewählter Deckname war „Gallinat“.
In dieser Zeit traf er sich 30-mal mit seinem Führungsoffizier und fertigte 28 handgeschriebene Berichte an. Außerdem existieren 14 gesprochene Tonbandberichte.
Wichtigste Aufgabe des IMs war die Sammlung von Informationen über Ausreisewillige. Auf Grundlage der Berichte führte die Stasi sieben operative Personenkontrollen durch.
Für seine IM-Tätigkeit erhielt Fröse Prämien in Höhe von 50, 100 und 150 Mark.
Quelle: Bericht des Untersuchungsausschusses des Gemeinderates Bannewitz von 1992