Ebenso wenig nachvollziehbar scheint mir die laue Ausrede, die Geruchsproben würden ja nur bei jenen entnommen, die sich irgendwie verdächtig gemacht haben. Das war bei der Stasi auch nicht anders – treue Parteigenossen mussten sich eher selten den vielfältigen Überwachungsmaßnahmen unterziehen. Das Argument: Wer sich nichts zuschulden kommen lässt, braucht ja keine Angst zu haben, denn er hat ja nichts zu verbergen, ist so alt und freiheitsfeindlich wie das System einer Diktatur selbst.
In der Frage der Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten – die Entnahme von Geruchsproben ist hier nur die Spitze eines stinkenden Müllberges – scheint mir heute der selbe Mechanismus zu wirken, der auch schon zur Gründung der Staatssicherheit der DDR und deren Pervertierung geführt hat: Aus dem verständlichen Impuls des „Nie-Wieder!“ gelangt man relativ schnell zu dem Wunsch, die Menschen vor dem Bösen der Welt zu schützen. Der dabei angestrebte 100prozentige Schutz gipfelt dann eben u. a. auch in Mauern, Demonstrationsverboten, flächendeckender Überwachung.
Dass der Mensch Schäuble als Opfer eines Attentates ein besonders traumatisches Verhältnis zu möglichen Gefährdungen hat, ist nachvollziehbar. Gerade deswegen ist er als Innenminister ungeeignet, denn es fehlt ihm am nötigen Abstand und der Gelassenheit, mit der Heterogenität der Gesellschaft und den damit verbundenen Unsicherheiten umzugehen. Er entwickelt sich spürbar zum Feind einer freiheitlichen Grundordnung und trägt damit selbst zur Radikalisierung der Gesellschaft bei, die jene hilflosen Ausschreitungen angesichts der unverhältnismäßigen Eingriffe in bürgerliche Freiheiten erst provoziert, die er zu verhindern sucht. Schäuble und seine ‚Gesinnungsgenossen werden damit ungewollt zum engsten Verbündeten eines Osama Bin Laden, dem ja vor allem die bisherigen Vorzüge des westlichen demokratischen Systems ein Dorn im Auge sind.
Andreas Warschau
Operativer Vorgang „Provokateur“ in den 80er Jahren
24. 05. 2007, als Leserbrief im "Spiegel" am 04. 06. tw. veröffentlicht